Offene gesellschaftliche Innovation – Die Seealemannische Definition (auf Deutsch)
(Version 1.0, 15. September 2012, pdf)
Jörn von Lucke, Johann Herzberg, Ulrike Kluge, Jan vom Brocke, Oliver Müller, Hans-Dieter Zimmermann
Offene gesellschaftliche Innovation bezeichnet die Adaption und anschließende nachhaltige Nutzung geeigneter betriebswirtschaftlicher Open Innovation-Ansätze zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen durch Staat und Gesellschaft.
Besonders erstrebenswert ist die Schaffung einer Innovationskultur, welche alle gesellschaftlichen Akteure gleichermaßen anspricht, diese mit einschließt und so deren Innovationspotenzial für das Gemeinwesen und die gesamte Bodensee-Region verfügbar macht.
Dabei besteht die Absicht, einerseits Innovationsimpulse aufzugreifen („Outside-In“) und diese innerhalb der Gesellschaft und gemeinsam mit Politik und Verwaltung weiterzuentwickeln und andererseits eigene Innovationsimpulse nach außen zu tragen („Inside-Out“). Beide Ansätze lassen sich auch miteinander kombinieren („Coupled“). Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien können bei diesen Innovationsprozessen als beschleunigende Werkzeuge dienen. Als Katalysatoren erreichen sie die relevanten Akteure in der Gesellschaft, bringen sie zusammen und entzünden damit gemeinsame Aktivitäten. Ein Ziel ist es, durch diese Erweiterung des Innovationsraums anstehende gesellschaftliche Herausforderungen sowohl auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene als auch im internationalen Kontext anzugehen und diese gemeinsam konstruktiv zu lösen. Konkrete Anknüpfungspunkte finden sich im Innovationskreislauf der Politik und im Innovationsprozess der Verwaltung, aber auch in vielen weiteren Bereichen des zivilgesellschaftlichen Lebens wie Bildung, Kunst, Kultur, Sport und Erholung.
Die internationale Bodensee-Region wird eine Vorreiterrolle als Impulsgeber für eine offene, wohlverstandene und bürgerorientierte Innovationskultur einnehmen. Durch die gezielte Ansprache interessierter Bürger lassen sich in allen gesellschaftlichen Bereichen einer vernetzten Gesellschaft die Anzahl der Impulsgeber und die Anzahl der Impulse steigern. Dies kann zu echten Innovationen, zur abgewogenen Meinungsbildung und zur gemeinsamen Bildung und Gestaltung von Ideen, Konzepten, Angeboten und Veranstaltungen durch und mit Bürgern, Unternehmen, Behörden und sonstigen gesellschaftlich relevanten Gruppen führen. Die vorhandenen Innovations- und Kreativitätspotentiale und die bereits zur Verfügung stehenden Werkzeuge, Dienste, Angebote und Formate lassen sich für technische, organisatorische, politische und zivilgesellschaftliche Fragestellungen gleichermaßen nutzen. Darin liegt die Kraft der offenen Innovation, durch welche die Vision einer modernen Bürgergesellschaft zum Wohle aller realisiert werden kann. Dies fördert die Vernetzung der Akteure und trägt zur Steigerung von Lebens- und Standortqualität bei.
Innovation kann nicht nur der Gesellschaft zu Gute kommen, sondern auch das Innovationspotential aus der Gesellschaft nutzen. In dieser Hinsicht wird von „offener gesellschaftlicher Innovation“ (OGI; Englisch: Open Societal Innovation (OSI)) gesprochen. Bei offener Innovation aus der Gesellschaft geht es um Ergebnisoffenheit bei der Generierung und vor allem um die Öffnung des Innovationsprozesses im Sinne von „Open Innovation“ bei einem Verzicht auf Exklusivität. Bei den Ergebnissen von offener Innovation für die Gesellschaft geht es um soziale Innovationen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft (Social Innovation), die auf das Zusammenleben der Menschen und die Steigerung der Lebens- und Standortqualität Einfluss haben.
Zur offenen Generierung von Innovationen zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen konnten bisher fünf vorbildhafte Ansätze herausgearbeitet werden: Hierzu zählen die Lead User-Methode, ein Open Innovation-Werkzeugkasten, Ideen- und Innovationsplattformen, gezielte Veranstaltungsformate sowie die Durchführung von Wettbewerben.
In der Wirtschaft wird mit der Lead User-Methode versucht, trendführende Nutzer in die Produktentwicklung einzubinden. Übertragen auf den öffentlichen Sektor geht es um die gezielte Einbindung relevanter Akteure und Meinungsmultiplikatoren in die Lösung gesellschaftlicher Fragestellungen.
Ein Open Innovation-Werkzeugkasten kann den Verantwortlichen in diesem Zusammenhang helfen, aus der Vielfalt der verwendbaren Methoden jene auszuwählen und zu verwenden, die sich in der jeweiligen Situation besonders eignen. Zu denken ist hier etwa an Brainstorming und offene Gestaltung, an Konsultationen, Bewertungen und Feedbackkommentare. Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien erlauben es, viele dieser Methoden mit Rechnerunterstützung vor Ort oder weltweit verteilt, synchron oder asynchron, einzusetzen. Sinnvoll erscheint eine Kombination sowohl rechnergestützter als auch nicht-rechnergestützter Ansätze im Sinne von hybriden Lösungen. Ein Open Innovation-Werkzeugkasten erschließt idealtypisch das Gesamtreservoir an geeigneten Methoden, Software und Online-Diensten.
Ideen- und Innovationsplattformen verfolgen das Ziel, Problemstellungen und offene Fragen durch die Nutzung ausgewählter Informations- und Kommunikationstechnologien innerhalb eines Portals anzugehen. Im Namen des Auftraggebers werden aus einer Reihe von Werkzeugen geeignete Dienste ausgewählt, die alle miteinander interoperabel sind. Zu denken ist etwa an Brainstorming-, Dokumentations-, Feedback-, Diskussions- oder Abstimmungsdienste. Auch die Bereitstellung passender offener Daten (Open Data) bietet sich an. Während der Kreativitätsphase sind die Plattformen für Interessierte frei und leicht zugänglich. Sie können zum Abschluss systematisch ausgewertet werden.
Oft macht es Sinn, virtuelle Ideen- und Innovationsplattformen mit realen Veranstaltungsformaten zu verknüpfen, um ausreichend Impulsgeber anzusprechen und die Initialzündung zu geben. Zu denken ist hier an Open Innovation-Formate wie Kreativitätsworkshops, World Cafes, Open Space-Konferenzen, Bar Camps, Hack Days, Bürgerräte, Bürgerpanel, Planungszellen, Foresight-Prozesse, Zukunftswerkstätten und Zukunftskonferenzen. Solche Veranstaltungen profitieren vom persönlichen, realen Austausch der Akteure. Zusätzlicher Aufwand und Kosten für Reisen und Treffen lassen sich durch die im persönlichen Gespräch und gegenseitigen Austausch gewonnenen neuartigen Impulse und Anregungen rechtfertigen.
Ideenwettbewerbe erhöhen mit einer offenen Fragestellung, Preisen und einem Abgabetermin den Anreiz zur Problemlösung. Der Aufruf zur Einreichung von Angeboten, Designs, Konzepten und Lösungsvorschlägen motiviert Interessenten, sich mit der Thematik auseinander zu setzen und nach Ergebnissen zu suchen. Umsetzungswettbewerbe zielen darauf ab, gleich eine praktische Umsetzung einzufordern. Im Zeitalter sozialer Medien und Web 2.0-Technologien gewinnen dabei Programmierwettbewerbe an Bedeutung. Qualitätswettbewerbe dienen dazu, die Qualität bestehender Lösungen und Umsetzungen weiter zu erhöhen.
Offene gesellschaftliche Innovation kann in den kommenden Jahren insbesondere mit Hilfe der skizzierten Ansätze zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen beitragen. Durch die Mitarbeit und die so genannte „Weisheit der Vielen“ (Crowdsourcing) können wertvolle Beiträge gewonnen und diese insgesamt auch ständig verbessert werden. Das Projekt „eSociety Bodensee 2020“ der Internationalen Bodensee Hochschule (IBH) wird diese Überlegungen mit Blick auf die Bodensee-Region aufgreifen und auf die Möglichkeiten einer vernetzten Gesellschaft hin systematisch ausbauen. Einen wichtigen Stellenwert als Leuchtturm wird dabei der aufzubauende Open Innovation-Werkzeugkasten einnehmen. Mit der Erprobung dieser Methoden und Werkzeuge werden nicht nur einzelne Innovationsvorhaben unterstützt. Auch kann ein Beitrag zur regionalen Innovationskultur in der Bodensee-Region geleistet werden, indem relevante Akteure mit den Innovationstechniken und Organisationsformen vertraut gemacht werden. Daneben ist es wichtig zu reflektieren, dass Innovationen keine programmatische Vorgabe sind, sondern sich durch die Ideen und Interaktionen der Menschen im Bodenseeraum entwickeln. Damit unterstützt die Idee der „eSociety Bodensee 2020“ die Zielsetzungen der Internationalen Bodenseekonferenz (IBK), wie sie in ihrem Leitbild von 2008 formuliert sind.
Literatur
Chesbrough, Henry; Enkel, Ellen und Gassmann, Oliver: The Future of Open Innovation, in: R&D Management, 40. Jahrgang, Heft 3, Blackwell Publishing, Oxford 2010, S. 213 – 221.
Herzberg, Johann: Staatsmodernisierung durch Open Innovation: Problemlage, Theoriebildung, Handlungsempfehlungen, TICC-Schriftenreihe, Band 4, epubli GmbH, Berlin 2012. ISBN 978-3-8442-2912-7.
Howe, Jeff: Crowdsourcing: Why the Power of the Crowd Is Driving the Future of Business, Random House Inc., New York 2008.
Internationale Bodensee Konferenz: Leitbild der Internationalen Bodensee Konferenz (IBK) für den Bodenseeraum, Konstanz 2008.
Pol, Eduardo und Ville, Simon: Social Innovation: Buzz Word or Enduring Term? In: Journal of Socio-Economics, 38. Jahrgang, Heft 6, Elsevier, Amsterdam et al. 2009, S. 878 – 885.
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